Psychische Erkrankung – ein Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Leiden und Störungen, wie z.B. Depression, Ess-Störungen, Psychosen, Demenz usw. Eines ist jedoch bei den meisten Erkrankungen gleich – der Erkrankte hat kein Krankheitsgefühl oder lehnt eine Behandlung bzw. professionelle Unterstützung, gleich welcher Art, kategorisch ab. Das verursacht bei den Angehörigen viel Not und Leidensdruck. Wenn z.B. der Ehepartner in einer manischen Phase das Konto leerräumt oder die an einer Angststörung leidende Tochter seit Wochen ihr Zimmer nicht verlässt und zusehends verelendet, gerät schnell das ganze Familienleben aus den Fugen.
Die natürliche Reaktion ist dann, dass man versucht, dem Erkrankten zu helfen. Schließlich gibt es ja auch für psychische Erkrankungen Kliniken und Medikamente, Rehas und soziale Unterstützung – oder?
Nun, als Angehöriger wirst Du schnell feststellen, so einfach ist das eben gar nicht. Wenn der Betroffene sich nicht krank fühlt, dann wird er weder in eine Psychiatrie noch zu einem Psychologen gehen. Je mehr Du darauf bestehst, dass sich der Betroffene einmal untersuchen lässt, desto mehr wird er sich dagegen wehren und Eure Beziehung wird sehr darunter leiden. Deine Hilfeversuche wird er als Übergriffigkeit und Bevormundung interpretieren.
Viele Angehörige versuchen dann, die Sache eben anders anzugehen und wenden sich direkt selbst an das professionelle Hilfesystem. Leider viel zu oft, ohne Hilfe zu bekommen „Ihr Angehöriger muss sich selbst – freiwillig – an uns wenden. Ohne seine/ihre Zustimmung sind uns die Hände gebunden. Eingeschritten wird nur bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung“.
Und so dauert es leider oft Jahre, bis der psychisch Kranke erstmals fachgerecht behandelt wird. In der Zwischenzeit sind oft alle sozialen Beziehungen weggebrochen, Beruf, Ausbildung oder Schule haben stark gelitten oder fanden gar nicht statt, was oft zu einer finanziellen Schieflage der Familie geführt hat. Und natürlich ist das Klima in der Familie oft bis zum Zerreißen gespannt – man hat sich gegenseitig tiefe Wunden geschlagen.
Nimmt der psychisch Kranke also nach Jahren Hilfe an, dann ist dies oftmals für Angehörige das erste Mal, dass sie auf Ärzte und andere Profi-Helfer treffen. Für diese ist tägliche Routine, was für uns Angehörige eine persönliche Katastrophe ist. Eine Einbeziehung der Angehörigen geschieht oft nicht, mit dem Hinweis auf Schweigepflicht, Datenschutz und Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Fast zwangsläufig kommt es so zu Frustration, Ärger und Missverständnissen. Niemand hat Zeit, hört zu, nimmt Anteil, klärt auf, vielfach spürt man Reserviertheit der Profis, manchmal direkte und kränkende Zurückweisung. Für den Patienten ist gesorgt, Du stehst mit Deinen Sorgen, Ängsten und Fragen relativ allein da.
Hinzu kommt noch die Sprachlosigkeit. Mit wem kann man schon darüber reden, was der Alltag mit einem hochpsychotischen Sohn oder einer depressiven Mutter bedeutet – wer würde das schon verstehen?
Und so haben Angehörige – unabhängig von der Art der Erkrankung des Betroffenen – eigentlich alle immer dieselben Fragen. Sorgen um die gesundheitliche Zukunft des Erkrankten, Existenzängste, Scham und Schuldgefühle, Hilflosigkeit sowie Ärger und Frustration. Wie gehe ich mit meinem erkrankten Familienmitglied um? Wie reagiere ich richtig auf Konfliktsituationen? Wie soll es beruflich und familiär weitergehen? Wo gibt es Hilfsangebote? Die emotionale und soziale Belastung der betroffenen Familien ist enorm.
Irgendwann wirst Du dann vielleicht feststellen, dass Du alleine nicht weiterkommst, dass auch Du als Angehöriger dringend Hilfe und Unterstützung brauchst. Menschen, die wissen, was Du erlebst, bei denen Du ohne Rücksicht von Deinen Ängsten, Deinen Sorgen und auch Deiner Wut reden kannst. Menschen, die wissen, wo Du welche Hilfe bekommen kannst.
In der Angehörigengruppe braucht man nicht viel zu erklären und findet Verständnis und Rückenstärkung. Der Austausch bringt Erleichterung und Du erlebst die Solidarität der anderen Angehörigen. Und Du bekommst wichtige Informationen zu Krankheitsverläufen, Therapiemöglichkeiten, finanziellen und organisatorischen Hilfsangeboten. Andere Angehörige berichten davon, wie sie mit belastenden Situationen umgegangen sind.
Natürlich ist ein einmaliger Besuch einer Gruppe auch kein Wundermittel. Die Belastungen und Herausforderungen durch die psychische Erkrankung bestehen ja weiter und jeder (Mit)-Betroffene muss lernen, mit diesen Herausforderungen zu leben – das dauert seine Zeit. Aber es ist möglich – und auf dem Weg wieder hin zu einem erfüllten, zufriedenen Leben stehen Dir die anderen Angehörigen gerne zur Seite.